Kurzportrait über das Alevitentum

Das Alevitentum ist eine humanistische Lehre. Die Gleichstellung der Geschlechter, Naturverbundenheit, Toleranz, Weltoffenheit, Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft sind Kernelemente des alevitischen Glaubens. Das Alevitentum wird als zeitgenössischer “Weg” bezeichnet und versucht auch stets im Einklang mit den Erkenntnissen der Wissenschaft zu stehen.

Im Zentrum der alevitischen Lehre steht der Mensch, da in jedem Menschen und dem Kosmos die “göttliche Wahrheit” verborgen liegt. Der tiefsinnige humanistische Kern dieses Glaubens wird in den Worten des Gelehrten Hünkar Bektaş Veli (13. Jh.) deutlich, wenn er schreibt:

 

Andere haben eine heilige Stätte, meine hingegen ist der Mensch, sowohl Erschaffender, als auch Erlöser, ist der Mensch, die Menschheit selbst.

Weil für die eigenständige Religionsgemeinschaft der Alevit_innen alles göttlich ist, kann „Gott“ in der gesamten Natur und im eigenen Selbst aufgespürt werden. Man spricht von einem Glauben der Befreiung und Freiheit. So ist Selbstbefreiung u.a. durch Wissensaneignung möglich. Die Alevit_inen erachten alle Völker und Religionen als gleichwertig und setzen sich in ihrer historischen Tradition für die Unterdrückten und Schwachen ein.

ALEVIT_INNEN

In Deutschland leben etwa 600.000 bis 700.000 Menschen mit alevitischem Religionshintergrund. Knapp ein Drittel davon im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die Alevitische Gemeinde ist in Deutschland eine rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft nach Art. 7, Abs. 3 des Grundgesetzes. Die ursprüngliche Heimat der meisten Alevit_innen ist / war Anatolien. In Der Türkei besitzt etwa 20 % der Bevölkerung diesen liberalen Glauben.

RELIGIÖSE PRAXIS

In der religiösen und kulturellen Praxis der Alevit_innen spielen Poesie, Tanz und Musik – insbesondere das Spielen der anatolischen Langhalslaute, welche Bağlama genannt wird, eine große Rolle. Ein bis mehrere Male im Jahr treffen sich die Gemeindemitglieder zum Gemeinschaftsgebet in den Cem-Häusern zusammen. Diese Zusammenkunft wird als Cem bezeichnet. An dieser Zusammenkunft nehmen alle Gemeindemitglieder gleichberechtigt teil. Zentrales Element der Zeremonie ist der Semah, ein tänzerisches Glaubensritual. Die zwölftägige Fastenzeiten zu Muharrem (Trauertage) und die dreitägige im Februar zu Hızır / Xizir stellen eine hervorgehobene Rolle im Glauben der Alevit_innen. Beim Alevitentum handelt es sich um einen mündlich tradierten Glauben, dem eine pantheistische Gottesvorstellung beiwohnt. Nach alevitischer Theorie kann jede Seele wieder Eins werden mit der göttlichen Wahrheit, in dem es den Weg der 4 Tore und 40 Stufen durchläuft. Diese fußen auf den Lehren des spirituellen Großmeisters Haci Bektas Veli, welcher im 13. Jahrhundert wirkte. Diese Vervollkommnung wird im Türkischen als „insan-i kamil“ bezeichnet. Weiterhin glauben die Alevit_innen daran, dass die Menschheit sich ein irdisches Himmelsreich errichten kann, in dem sie den Weg des Einvernehmens gehen. Weiterhin wichtig ist Alevitentum die Wahlgeschwisterschaft Musahiplik.